Paragrafen im Text sind so sexy wie Mundgeruch beim Küssen. Jurist:innen und Rechtsabteilungen sehen das natürlich anders: Nicht, dass sie bei "gemäß AGB, Abs. 3" lustvoll aufstöhnen würden - Texte haben für sie einfach nichts Emotionales. Ein Missverständnis, das Unternehmen viel Geld kostet.
Das letzte Wort beim Text hat meist die Rechtsabteilung: Vor allem bei Nachrichten wie Kündigungen, Filialschließungen, gesetzlichen Änderungen, Bescheiden oder Antworten auf Beschwerden.
Kein Wunder: Fehlende oder falsche Informationen können fatale Folgen haben - und es ist auch für Kommunikator:innen beruhigend zu wissen, dass sie auf der sicheren Seite sind. Und, ja, eine Info zur Datenschutz-Grundverordnung löst bei Menschen mit oder ohne Hinweis auf Paragrafen keine Extase aus. Doch bei vielen Anlässen sind juristische Texte eher verwirrend als förderlich und keineswegs zwingend notwendig.
Bei solchen Anlässen schüttet die Rechtsabteilung das Kind leider oft mit dem Bade aus.
Vor kurzem haben wir von unserer Krankenversicherungen die gute Nachricht erhalten, dass unserem "Antrag" stattgegeben wurde: Unser studierender Sohn darf weiterhin kostenlos in der Familienversicherung bleiben, trotz Nebenjob. Leider habe ich das jedoch nicht kapiert - denn die Betreffzeile des Schreibens lautete:
Versicherungsrechtliche Beurteilung einer Beschäftigung während des Studiums
Die einzige fettgedruckte Passage im Text:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch eingelegt werden. Dieser ist schriftlich oder zur Niederschrift bei den im Briefkopf bezeichneten Stellen einzureichen.
Auch beim Überfliegen fand ich keinen Hinweis auf die erhoffte Nachricht. Also rief ich die Hotline an. Die Dame brauchte einige Minuten, um mich aufzuklären. Ich musste zerknirscht zugeben, dass ich den Text nicht komplett gelesen hatte (die positive Nachricht stand im hinteren Teil des zweiten Absatzes).
Kommunikationsziel nicht erreicht
Statt mich über die gute Nachricht zu freuen, war ich nun beschämt. Und die Krankenkasse hat draufgezahlt - denn mein 5-minütiges Gespräch mit der Angestellten kostet nun mal Geld.
Ob die Rechtsabteilung für die Formulierung des Betreffs und den Hinweis auf den Widerspruch verantwortlich war, kann ich nicht sagen. Aber es ist sehr wahrscheinlich. Ich höre dies täglich von unseren Kundinnen und Kunden, z. B. bei Banken und Versicherungen:
"Legal gibt das so vor" "Anders dürfen wir das nicht formulieren" "Es ist nicht schön, aber es muss laut Rechtsabteilung genau so formuliert sein"
Muss es wirklich immer "rechtssicher" formuliert sein? Wie wahrscheinlich ist es, dass sich jemand bei einem positiven Bescheid beschwert, weil der rechtliche Hinweis auf Widerspruch fehlt? Und selbst wenn, welche Konsequenz hätte dies? Viel häufiger wird es Menschen gehen wie mir: Sie werden den Text überfliegen und nach der Kernbotschaft suchen. Selbst, wenn sie diese dann finden - toll fühlt sich das nicht an.
Rechtsabteilungen wägen nicht zwischen Gewinn und Risiko der Kommunikation ab.
Sie prüfen auch nicht, ob ihre Formulierung das Kommunikationsziel torpediert. Dabei ist eben nicht die Nachricht an sich entscheidend, sondern wie diese formuliert ist. Dazu ein Beispiel:
Aus Kulanz und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erstatten wir Ihnen einmalig einen Betrag in Höhe von EUR 30.
oder
Wir kommen Ihnen gern entgegen und übernehmen einen Teil der Kosten. Sie erhalten von uns in den kommenden Tagen 30 Euro zurück. Bitte beachten Sie, dass daraus kein Rechtsanspruch entsteht.
Welche Formulierung wirkt positiver? Da gibt es vermutlich keine zwei Meinungen. Trotzdem pochen viele Rechtsabteilungen darauf, dass bei Antworten auf Beschwerden die Begriffe "Kulanz" und "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht" genutzt werden. Aus Sicherheit.
Der Frust in der Kommunikationsabteilung ist entsprechend groß. Viele empfinden Legal wie den Feind im eigenen Haus. Dabei ist es meist nur der fehlende Austausch über Ziele und Alternativen. Rechtsabteilungen sind nicht Teil des Kommunikationsteams oder des Kommunikationsprozesses. Sie verstehen sich auch nicht als Beratende dieses Teams. Sie tun schlechtweg ihre Arbeit ...
Wie raus aus dem Dilemma?
1. Schult eure Rechtsabteilung in der Kommunikation - sensibilisiert sie für die Wirkung ihrer Formulierungen. Wir bieten seit einigen Jahren solche Trainings an. Die Skepsis der Teilnehmenden ist am Anfang groß - doch bisher konnten wir alle für das Thema gewinnen.
2. Gebt dem Kommunikationsziel das gleiche Gewicht wie der rechtlichen Absicherung. So müssen sich Kommunikations- und Rechtsabteilung einigen und gemeinsam eine Lösung finden. Das braucht zwar manchmal Mut, aber das Risiko ist kalkulierbar. Ist es einmal zu hoch, hat die rechtliche Formulierung immer Vorrang.
Unsere Erfahrung zeigt: Diese Maßnahmen wirken nachhaltig. Es gibt dadurch deutlich weniger Nachfragen und Beschwerden, das Image steigt, Kund:innen und Mitarbeitende sind zufriedener.
Natürlich geht es auch danach nicht immer ohne Paragrafen. Wenn mal etwas in Juristendeutsch formuliert werden muss, hilft ein kleiner Trick, der wie Mundspray wirkt: Einfach "Rechtlicher Hinweis:" voranstellen und den Text nicht fetten. Schon springt das Auge in die nächste, wieder frisch formulierte Zeile.
ist Partnerin bei Textwende und seit über 20 Jahren als Kommunikationsberaterin, Trainerin, Coach und Texterin aktiv. Sie berät zusammen mit Sabine Krippl und ihrem Team Unternehmen bei der internen und externen Kommunikation und bildet Textcoaches aus.
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